Gesundheit

      Unser Pflegesystem ist nicht zukunftsfähig

      Gastbeitrag Stefan Heyde | Die aktuelle Pflege krankt an vielen Stellen und überfordert die finanziellen Möglichkeiten von Versicherten und Pflegekasse gleichermaßen

      Unser Gesundheitssystem ist sehr vielfältig aufgestellt und nicht immer leicht zu überblicken. Gerade im Bereich der Pflegeversicherung gibt es einige unterschiedliche Leistungen, welche den meisten Versicherten nicht bekannt sind und damit teilweise in Höhe von 4,3 Milliarden Euro verfallen (Quelle) und ungenutzt bleiben.

      So ist die Pflegefinanzierung aufgestellt

      Verschiedene Formen der Pflegeabsicherung wollen je nach Bedarf abgewägt sein, doch die Kosten übersteigen die Möglichkeiten vieler Pflegebedürftiger

      Wir sprechen hier vor allem von dem Entlastungsbetrag, welcher monatlich jedem Versicherten in Höhe von 125 € ab Pflegegrad 1 monatlich zur Verfügung steht und im Jahr 1.500 € ausmacht. Er ist rund 70 % der Versicherten komplett unbekannt. (Quelle: Verbaende.com). Dieser soll gerade die pflegenden Angehörigen, aber auch Versicherten mit Alltagsbegleitung, Betreuungsleistungen und hauswirtschaftlichen Hilfen entlasten. Dieser Betrag darf auch nur für diese Alltagsunterstützungen genutzt werden und steht dem Versicherten nicht als Barauszahlung zur Verfügung. Er wird direkt von den zugelassenen Anbietern oder Einzelpersonen mit der Pflegekasse abgerechnet.

      Einen anderen weiteren Bereich bildet die Verhinderungspflege, diese ist mit jährlich 1.612 € festgelegt. Sie sichert im Falle einer Krankheit oder Verhinderung der Pflegeperson die Versorgung der zu pflegenden Person über einen gewissen Zeitraum. Jedoch kann die Verhinderungspflege auch für Angebote zur Unterstützung im Alltag (kurz AuA) genutzt werden. Sie steht dann jedoch im weiteren Jahresverlauf nicht mehr zur Verfügung, falls eine weitere Verhinderungspflege notwendig werden sollte, sodass dann diese Kosten auf den Versicherten bzw. dessen Angehörigen zukommen.

      Den letzten Punkt bildet die Kombination aus Pflege- und Sachleistung. Diese ist vom Pflegegrad abhängig und steigt mit der Höhe des Pflegegrades. Bei Pflegegrad 5 stehen so, bei der maximalen Umwandlung von 40 %, dem Versicherten zusätzlich 838 € zur Verfügung. Jedoch reduziert sich dadurch auch das Pflegegeld für den pflegenden Angehörigen.

      Das größte Problem im Bereich der Pflegeversicherungen bilden aktuell die immer weiter steigenden Kosten, welche die Versicherten und/oder Angehörigen, bei einem dauerhaften, stationären Aufenthalt in einer stationären Einrichtung zahlen müssen. Denn die Pflegeversicherung ist in ihrer aktuellen Form als „Teilversicherung“ ausgelegt und deckt damit nur einen Teil der Kosten, die monatlich entstehen, ab, den Rest trägt der Versicherte oder Angehörige. Die aktuelle Höhe dieses Betrages liegt z.B. in Rheinland-Pfalz bei 2.264 € monatlich, damit ist Rheinland-Pfalz auf dem 4. Platz der Bundesländer. Nur Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und der Spitzenreiter Nordrhein-Westfalen (2.542 €) sind noch höher. (Quelle: vdek vom 01.01.2022)

      Unser Gesundheitssystem befindet sich an einem kritischen Wendepunkt, denn wir müssen es zukunftsfähig und tragbar machen für die nahenden Herausforderungen.

      Stefan Heyde | Fachtherapeut für Gerontologie & Geriatrie, Gründer von "Pflegekräfte in Not" und Autor von "Der Pflegeberuf - (k)eine heile Welt"

      Ein überfordertes Gesundheitssystem

      Auch kleinere Nachbesserungen konnten das Pflegesystem bisher nicht grundsätzlich entlasten

      Nun ist hier zum 1. Januar 2022 eine „kleine Pflegereform“ in Kraft getreten, welche die Versicherten und Angehörigen entlasten soll. Je länger der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist, desto höher sollen die Pflegekassen die Kosten auch übernehmen, ab 36 Monate sind es bis zu 70 % des sog. „Leistungszuschlags“. (Quelle: vdek vom 01.01.2022)

      Wir beobachten aktuell in unserem Gesundheitssystem unübersichtliche Regelungen für die Pflege, eine Pflegeversicherung als „Teilversicherung“ und in der Folge eine immer schwierigere Finanzierung der steigenden Kosten einer stationären Versorgung.

      Die Standardrente der Rentenversicherung liegt derzeit bei 1.589 € in den alten Bundesländern, in den neuen Bundesländern bei 1.506 €. (Quelle: Statista.com vom 01.07.2021 - Monatliche Standardrente). Diese ist zu gering, um die anfallenden Kosten zu decken – insbesondere bei gleichzeitig immer weiter steigenden Eigenanteilen in der stationären Dauerversorgung. Für die Pflege bedeutet das bereits jetzt eine beträchtliche Finanzierungslücke.

      In dieser Momentaufnahme ist auch noch nicht die in der Zukunft weiterwachsende Personengruppe der Menschen mit Demenz eingerechnet. Diese bildet bereits jetzt mit rund 1,6 Millionen Betroffenen einen nicht unerheblichen Teil ab und steigt jährlich um etwa 300.000 Betroffene. Ein Riesenproblem für die stationäre Versorgung der Zukunft, da dort vor allem Pflegeplätze und Fachpersonal fehlen werden.

      Warum Demenzkranke bisher noch kein Problem für die Pflege darstellen? Das ist dem Umstand geschuldet, dass der Großteil dieser Menschen aktuell in häuslicher Umgebung von ihren Angehörigen gepflegt und versorgt wird. Ein Umstand, welcher so in der Zukunft aufgrund des demografischen Wandels und Veränderung der Gesellschaft zu massiven Problemen führen wird. Durch weniger traditionelle Familien nach dem Einverdienermodell, mehr Einzel- oder Zweipersonenhaushalte und insgesamt weniger nachkommende Kinder gibt es weniger Angehörige, die eine Pflege übernehmen können.

      Wie können Pflege und Gesundheitssystem in der Zukunft aussehen?

      Das Gesundheitssystem muss sich wandeln, um zukunftsfähig zu werden. Vorbild könnte Skandinavien sein

      Unser Gesundheitssystem befindet sich an einem kritischen Wendepunkt, denn wir müssen es zukunftsfähig und tragbar machen für die nahenden Herausforderungen. Das System kommt immer mehr an seine Grenzen, gleichzeitig laufen die Kosten zunehmend aus dem Ruder.

      Diesen Weg könnte man über mehrere Schritte gehen, denn der Umbau des Gesundheitssystems funktioniert nicht von heute auf morgen. Ein möglicher Umbau nach skandinavischem Vorbild würde etwa einen festen Zusatzsteuersatz pro Einwohner und eine enge Verzahnung der unterschiedlichen Teile im Gesundheitssystem voraussetzen, ebenso wie die unerlässliche Information der Bevölkerung bzw. der Versicherten. Denn nur durch die Akzeptanz in der Bevölkerung kann ein Wandel im Gesundheitssystem und in der Pflege gelingen.

      Ein erster, zentraler Zwischenschritt wäre, die Unübersichtlichkeit und Vielzahl an unterschiedlichen „Finanztöpfen“ zu beheben und jedem Versicherten jährlich ein Pflegebudget zur Verfügung zu stellen. Die Höhe könnte sich auf 10.000 €/Versicherter belaufen. Über dieses Budget kann dann der Versicherte bzw. sein Angehöriger genau am Bedarf ausrichten und abrufen, was er benötigt. Es würde auch die Jahresplanung erleichtern und die Übersicht über den restlichen Betrag wäre enorm vereinfacht und leichter zu kontrollieren. Nicht abgerufene Beträge könnten zum Jahresende bzw. zum 30.06. des Folgejahres wieder verfallen.

      Die Pflege und das gesamte Gesundheitssystem stehen derzeit unter massivem Kostendruck. Doch angesichts der alternden Gesellschaft und weiterer finanzieller Herausforderungen muss sich das System ändern, um auch zukünftig eine gute Pflege für alle zu ermöglichen.

      Über Stefan Heyde

      Stefan Heyde ist Fachtherapeut für Gerontologie und Geriatrie, Gründer der Protestaktion „Pflegekräfte in Not“, Autor von „Der Pflegeberuf - (k)eine heile Welt“ erschienen im Manuela-Kinzel-Verlag sowie Inhaber der Alltagsbegleitung und Betreuung Heyde.

      Bildrechte: Liza Barth / Landespflegekammer Rheinland-Pfalz 

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