Was bedeutet die Senkung des Rechnungszinses 2022?
In dem heutigen Artikel möchte ich auf Fragen eingehen, die uns häufig über den Support erreichen. Und dies zurecht – Überall hört und liest man Schlagzeilen wie „Lohnt sich die Riester-Rente noch?“, „Garantiezinssenkung verteuert die Berufsunfähigkeitsversicherung“ oder schlicht „Der Garantiezins wird gesenkt“. Die Begriffe Rechnungszins und Garantiezins werden scheinbar synonym verwendet, aber sind sie das? Außerdem möchte ich grob erklären, wie sich die Senkung des (Spoiler – korrekter Begriff) Höchstrechnungszinses auf unterschiedliche vermögensbildende Produkte auswirkt.
Was versteht man unter Höchstrechnungszins?
Der Höchstrechnungszins ist als oberster Wert zu verstehen, mit dem eine Versicherungsgesellschaft ihre Deckungsrückstellungen berechnen darf. Anhand der untenstehenden Tabelle wird deutlich, dass der Höchstrechnungszins in den letzten 27 Jahren nur gesunken ist. Dies liegt daran, wie der Höchstrechnungszins festgelegt wird. Denn die Berechnung des Höchstrechnungszinses basiert auf den Umlaufrenditen europäischer Staatsanleihen, welche über eine AAA-Bewertung einer Ratingagentur und einer Laufzeit von 10 Jahren verfügen. Für den Rückgang der Zinsen ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verantwortlich. Denn seit der Finanzkrise 2008 hat die EZB die Leitzinsen kontinuierlich gesenkt. Infolgedessen sind auch die Zinsen am Anleihemarkt stark gefallen. Die historische Entwicklung des Höchstrechnungszinses kann folgender Tabelle entnommen werden.
Jahr | Höchrechnungszinssatz |
---|---|
1903 - 1922 | 3,50 % |
1923 - 1941 | 4,00 % |
1942 - 1986 | 3,00 % |
1987 - 06/1994 | 3,50 % |
07/1994 - 06/2000 | 4,00 % |
07/2000 - 2003 | 3,25 % |
2004 - 2006 | 2,75 % |
2007 - 2011 | 2,25 % |
2012 - 2014 | 1,75 % |
2015 - 2016 | 1,25 % |
2017 - 2021 | 0,90 % |
ab 2022 | 0,25 % |
Quelle: Deutsche Aktuarvereinigung
Wer legt den Rechnungszins fest?
Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) gibt eine Empfehlung zum Niveau des Höchstrechnungszinses ab. Die finale Entscheidung einer Senkung - oder Hebung - liegt jedoch beim Bundesministerium der Finanzen (BMF), welches sich auf eben diese Empfehlung bezieht. Zum Jahreswechsel 2022 folgt das BMF somit der aktuellen Empfehlung der DAV und senkt den Höchstrechnungszins von aktuell 0,9 Prozent auf dann 0,25 Prozent. Damit erreicht dieser erneut das historisch tiefste Zinsniveau.
Was ist der Garantiezins?
Fälschlicherweise wird der Garantiezins häufig mit dem Rechnungszins synonym verwendet oder sogar gleichgesetzt – es handelt sich hier jedoch um zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Garantiezins ist der Wert, den die Versicherungsgesellschaft ihren Kundinnen und Kunden bei der Beitrags- und Leistungsberechnung mindestens zusichern. Für die Erfüllung dieser Garantien müssen die Versicherungsgesellschaften Rückstellungen in ihrer Bilanz bilden. Die Ermittlung dieser Rückstellungen erfolgt anhand eines sogenannten Reservierungszinses, welcher den Höchstrechnungszins nicht überschreiten darf. In der Regel sind Reservierungszins und Garantiezins identisch. Die Versicherungsgesellschaft legt den Garantiezins individuell selbst fest. Versicherer können somit theoretisch ab dem 01. Januar 2022 auch niedrigere Garantien als 0,25 Prozent zusagen. Da der Höchstrechnungszins und der Garantiezins oftmals identisch sind, werden Sie umgangssprachlich gleichgesetzt. Mit dem durch den Höchstrechnungszins beschränkten Garantiezins soll verhindert werden, dass Versicherungsgesellschaften zu hohe Garantieversprechen aussprechen.
Die meisten Versicherungsgesellschaften kalkulieren zurzeit mit einem Garantiezins von 0,9 Prozent, wobei es auch jetzt schon Gesellschaften gibt, die einen Garantiezins von 0,25 Prozent oder niedriger verwenden. Anfang des Jahres 2022 müssen dann auch die restlichen Gesellschafen ihre Kalkulation letztlich umstellen.
Betrifft die Senkung nur Neu- oder auch Altverträge?
Der reduzierte Garantiezins von 0,25 Prozent gilt nur für neue Verträge, die nach dem 01. Januar 2022 abgeschlossen werden. Für ältere Verträge, die mit einem höheren Garantiezins abgeschlossen wurden, ergibt sich keine direkte Auswirkung. Für die höheren Zinsversprechungen bilden die Versicherungsgesellschaften eine so genannte Zinszusatzreserve, um die zugesagten Versicherungsleistungen erfüllen zu können.
Auswirkungen auf die Versicherungsprodukte
Die Senkung des Garantiezinses hat für die Produktentwicklung in der Altersvorsorge und in der Berufsunfähigkeitsabsicherung enorme Auswirkungen. Denn in der Altersvorsorge wird dazu übergegangen sich von einer hundertprozentigen Beitragsgarantie abzuwenden. Für einen Mustervertrag mit 30 Jahren Laufzeit und den marktüblichen Kosten kann mit einem so niedrigen Garantiezins die vollständige Beitragsgarantie nicht gewährleistet werden. Auch die Deutsche Aktuarvereinigung empfiehlt auf eine vollständige Beitragsgarantie zu verzichten. Dies gilt jedoch nicht für die Riester-Rente und die betriebliche Altersvorsorge, da bei diesen Produkten eine Garantie durch den Gesetzgeber gewährleistet werden muss.
Die Absenkung der Beitragsgarantie ermöglicht den Versicherungsgesellschaften jedoch mehr Spielraum beim Anlegen am Kapitalmarkt und dies wiederum ermöglicht die Chance auf höhere Gewinne, bei dem die Versicherungsnehmerinnen und der Versicherungsnehmer in Form der Überschussbeteiligung profitieren. Auch Produkte ohne Garantien sind von der Senkung betroffen, denn für die Berechnung der Rentenfaktoren wird auch der Garantiezins verwendet. Daher betrifft die Absenkung des Garantiezinses alle Tarife der Altersvorsorge.
Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist nach der Garantiezinssenkung mit höheren Beiträgen zu rechnen. Dies folgt daraus, dass die Versicherer für den Versicherungsfall Rückstellungen bilden müssen. Dieses Kapital wird mit dem Garantiezins verzinst. Da der Garantiezins jetzt niedriger ausfällt, muss der Beitrag höher ausfallen, um die gleiche Höhe an Rücklagen zu bilden. Hierbei ist vor allem der Bruttobeitrag betroffen. Sollten auch die Überschüsse erhöht werden, würde dies zu einem größeren Preisunterschied zwischen Bruttobeitrag und Nettobeitrag führen.
Ausblick
Der niedrige Garantiezins könnte das Ende für Produkte wie der Riester-Rente und der Beitragszusage mit Mindestleistung in der betrieblichen Altersvorsorge bedeuten. Denn bei diesen besteht eine gesetzliche Pflicht zur Gewährleistung der vollständigen Beitragsgarantie. Dies ist jedoch bei einem Garantiezins nahe 0 Prozent und dem gleichzeitigen Decken der Kosten äußerst schwierig.
Ein Artikel von Nima Shahriari, Senior Aktuar (DAV).
Auch interessant könnte für Dich der Artikel vom 04. September 2020 von Das Investment sein, in dem Martin Stenger, Vertriebsleiter für Versicherungsprodukte und Vorsorgelösungen in Deutschland bei Franklin Templeton, und Joachim Kaeß, Referent Finanzmathematische Modelle bei MORGEN & MORGEN, über Garantien, Höchstrechnungszinsen und die Rolle des Beraters bei der Risiko-Rendite-Abwägung des Kunden sprechen.