M&M Rating LV-Unternehmen oder M&M Belastungstest?
Beschäftigt man sich momentan mit Themen um Altersvorsorge, Geldanlage und andere Versicherungsprodukte, dominieren Nachrichten um Niedrigzinsniveaus, Senkungen des Rechnungszinses, Run-Offs, Beobachtungen durch die Aufsicht, wirtschaftliche Folgen der Pandemie oder neue Produktangebote mit geringeren Garantien. Gerade in turbulenten Zeiten wie diesen stellt sich dem Kunden und seinem Berater mehr denn je die Frage, an welchen Versicherer man sich guten Gewissens binden möchte. In der Lebensversicherungsbranche laufen die Verträge tendenziell lange, vorzeitige Kündigungen der Verträge und Wechsel der Versicherungsgesellschaft sind in der Regel mit Nachteilen für die Versicherungsnehmer verbunden. Da möchte man sich schon sicher sein. Aber wie erkennt man gut aufgestellte Versicherer? Welchen Versicherer sollten Berater ihren Kunden empfehlen, welchen lieber nicht? Die Angebote an Ratings und Bewertungen von Lebensversicherern am deutschen Markt sind vielfältig und scheinen sich auch manchmal zu widersprechen. Auch wir bieten mit zwei verschiedenen Bewertungsverfahren Orientierung: Dem M&M Rating LV-Unternehmen und dem M&M Belastungstest. Was sind die Unterschiede dieser beiden Verfahren, und welches Verfahren sollte in welchen Fällen zu Rate gezogen werden?
Das M&M Rating LV-Unternehmen
Das M&M Rating LV-Unternehmen soll eine Aussage darüber treffen, bei welchem Versicherer die bilanziellen Voraussetzungen da sind, dass ein Kunde guten Gewissens sein Geld in einem kapitalbildenden Tarif anlegen kann. Wo gibt es die Chance auf eine attraktive Rendite, geringe Kosten, ein gesundes Bestandswachstum sowie nicht zuletzt ein ausreichendes Maß an Sicherheit. Dies bezieht sich ausschließlich auf die Wahl des Unternehmens, nicht auf einen konkreten Tarif. Versicherungsbedingungen und konkrete Tarifausgestaltungen sind hierbei außen vor.
Das M&M Rating LV-Unternehmen basiert auf öffentlich zugänglichen Daten, nämlich den offiziellen Geschäftsberichten der Versicherungsgesellschaften. Das bedeutet, dass jeder Versicherer von außen bewertet werden kann und auch jedes Ergebnis veröffentlicht werden kann. Eine Nichtteilnahme oder ein Zurückziehen der Teilnahme, etwa im Falle eines schlechten Ergebnisses, ist somit nicht möglich. Die Ratingskala von 1 bis 5 Sternen wird dadurch auch tatsächlich ausgefüllt. Bewertungsverfahren, die auf interne Daten der Versicherer angewiesen sind, lassen Fragezeichen bei nicht bewerteten Versicherern – ob der Versicherer schlecht abgeschnitten hätte oder aus anderen Gründen nicht teilnehmen wollte, bleibt unbeantwortet.
Es fließen keine Produktdaten in das Rating ein, die Bewertung erfolgt auf Unternehmensebene. Natürlich kann ein bilanziell etwas schlechter bewerteter Versicherer andere Vorzüge wie zum Beispiel einen sehr attraktiven Tarif haben – dies bleibt im Einzelfall abzuwägen.
Das Verfahren des M&M Ratings LV-Unternehmen ist ein relatives Verfahren. Das bedeutet, dass die Analysten von M&M nicht selbst Benchmarks vorgeben, die aus ihrer Sicht für ein gutes Ergebnis zu erfüllen sind. Die Benchmark ist der Markt selbst. Das bedeutet, im Rating wird bewertet, wie über- oder unterdurchschnittlich ein einzelner Versicherer im Vergleich zum relevanten Markt abschneidet. Auch das bedingt, dass es immer 5-Sterne- und 1-Stern-Ergebnisse gibt.
Der relevante Markt besteht in diesem Fall aus allen Versicherungsgesellschaften am deutschen Markt, die nach HGB-Recht bilanzieren und zu einem relevanten Anteil kapitalbildendes Geschäft betreiben. Versicherer mit ausschließlich fondsgebundenem oder Biometrie-Geschäft oder auch Versicherer im Run-Off bleiben unberücksichtigt, da das Rating bei diesen Versicherern keine Aussagekraft hat. Die betrachteten Versicherer haben einen Marktanteil von rund 90%.
Verschiedene Bilanzkennzahlen geben Hinweise auf die bilanzielle Qualität eines Versicherers. Sie können alle aus den HGB-Bilanzen der Versicherer ermittelt werden. Die einzelnen Kennzahlen stehen auch oft in Wechselwirkungen zueinander. Da manche Kennzahlen mit der Zeit stark schwanken können, wird ein Zeitraum von 5 Bilanzjahrgängen betrachtet. Die einzelnen Kennzahlen sind ihrer Wichtigkeit entsprechend gewichtet. Die Auswahl der Kennzahlen und ihre Gewichte erfolgt vor dem Hintergrund, eine Aussage zur bilanziellen Qualität zu treffen hinsichtlich folgender Bereiche:
- Ertragsgrößen: bei welchem Versicherer sind die Voraussetzungen da, dass der Versicherungsnehmer bei seinem Vertrag eine möglichst große Rendite erhält?
- Bestandsgrößen: eine positive Bestandsentwicklung ist Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.
- Sicherheitsgrößen: wie ist der Versicherer hinsichtlich Sicherheitsmitteln im Hinblick auf die dauerhafte Erfüllbarkeit seiner Verpflichtungen aufgestellt?
Folgende Kennzahlen werden betrachtet:
Ertragsgrößen
- Nettoverzinsung: eine hohe Nettoverzinsung ist Voraussetzung für die Sicherstellung der Garantieverzinsung sowie die Erzielung von Zinsüberschüssen.
- Abschlusskostenquote: geringe Kosten sorgen dafür, dass ein größerer Teil des Beitrags als Sparbeitrag verwendet werden kann. Sind Kosten geringer als angenommen, entstehen Kostenüberschüsse, an denen der Versicherungsnehmer beteiligt wird.
- Verwaltungskostenquote: aus den gleichen Gründen ist eine niedrige Verwaltungskostenquote wünschenswert.
- Überschussquote: eine hohe Überschussquote zeigt, dass ein großer Betrag an Überschüssen erwirtschaftet wurde, die den Kunden wiederum zugutekommen.
Bestandsgrößen
- Wachstumsquote: ein positives, aber gesundes Wachstum ist Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.
- Stornoquote (in kapitalbildenden Tarifen): geringe Stornozahlen sprechen für „gesundes“ Wachstum, attraktive Produkte und guten Service.
Sicherheitsgrößen
- Modifizierte) Eigenmittelquote: Eigenkapital und Schlussüberschussanteilfonds sind Puffer, die in bestimmten finanziellen Notsituationen zur „Rettung“ des Versicherers eingesetzt werden können.
- RfB-Quote: der freie, das heißt der noch nicht direkt den Kunden gutgeschriebene Teil der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) erfüllt einerseits eine Sicherheitsfunktion, da er zu den Eigenmitteln gehört. Zusätzlich zeigt eine hohe freie RfB, dass für die zukünftige Überschussbeteiligung genügend Mittel vorhanden sind.
- Bewertungsreservequote: Bewertungsreserven entstehen, wenn die Kapitalanlagen zum Bilanzstichtag einen anderen Wert aufweisen als in der Bilanz aufgeführt. Sofern sie mehr wert sind, bedeutet das, man könnte sie verkaufen und somit Erträge generieren. Aus diesem Grund zählen die Bewertungsreserven ebenfalls zu den Sicherheitsmitteln und eine hohe Bewertungsreservequote ist positiv zu bewerten. Außerdem wird der Kunde bei Vertragsablauf in der Regel an den Bewertungsreserven beteiligt.
Der M&M Belastungstest
Der M&M Belastungstest trifft auch eine Aussage über die Unternehmensqualität, jedoch gibt es einige Unterschiede im Bewertungsverfahren, den betrachteten Daten und nicht zuletzt bei der Aussagekraft.
Bei dieser Betrachtung stehen Überlegungen hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit und Fortbestandes des Versicherers im Vordergrund. Es wird überprüft, ob der Versicherer auch in Krisenfällen unerwartet hohe Verluste ausgleichen kann und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit seinen Verpflichtungen nachkommen kann.
Im Vordergrund stehen hingegen nicht primär die Erzielung einer bestmöglichen Rendite, kostengünstiges Wirtschaften oder eine hohe Überschussbeteiligung.
Grundlage des M&M Belastungstest sind die Bedeckungsquoten, die jeder Versicherer im Rahmen des Aufsichtsregimes Solvency II berechnen und veröffentlichen muss. Die Aufsicht prüft anhand dieser Zahlen, ob die Versicherer die notwendigen Solvenz-Anforderungen erfüllen.
Im M&M Belastungstest werden die veröffentlichten Bedeckungsquoten noch leicht modifiziert. Dafür werden zusätzlich interne, nicht veröffentlichte Daten benötigt. Aus diesem Grund gibt es Versicherer, für die M&M kein Ergebnis ausweisen kann. Diese Versicherer sind nicht zwangsweise kritisch zu sehen, da es verschiedene Gründe für eine Nichtteilnahme am Verfahren geben kann. Aber trotzdem dürften sich unter den Nichtteilnehmern auch Versicherer verbergen, die den M&M Belastungstest nicht bestehen würden.
Für die Bestimmung der Bedeckungsquoten wird zunächst eine Solvenzkapitalanforderung berechnet, die von vielen Aspekten wie zum Beispiel der Höhe und Art der eingegangenen Verpflichtungen oder den vorhandenen Kapitalanlagen beeinflusst wird. Dieser Größe werden die vorhandenen Eigenmittel gegenübergestellt. Nach der zusätzlichen Modifikation anhand der internen Daten werden die berechneten Quoten anhand eines Benchmarksverfahrens den folgenden Kategorien zugeordnet:
- Ausgezeichnet
- Sehr gut
- Bestanden
- Kritisch
Die Höhe der Benchmarks überprüfen wir jährlich passen sie dem Markt an.
Die beiden Verfahren gegenübergestellt
Natürlich gibt es Aspekte, die sowohl im M&M Rating LV-Unternehmen als auch im M&M Belastungstest eine Rolle spielen. Das Vorhandensein von Eigenmitteln wird beispielsweise in beiden Verfahren „belohnt“.
Die Betrachtung der Kostensituation oder der Bestandsgrößen bleibt im M&M Belastungstest außen vor. Zusätzlich ist der M&M Belastungstest eine reine Stichtagsbetrachtung zum letzten Bilanzstichtag, die betrachteten Größen unterliegen oftmals deutlichen Schwankungen, das M&M Rating LV-Unternehmen betrachtet einen Zeitraum von 5 Bilanzjahrgängen und ist somit resistenter gegenüber Schwankungen im Zeitverlauf.
Aufgrund der Unterschiede können die Ergebnisse eines Versicherers in den beiden Verfahren deutlich auseinanderlaufen – was aber kein Widerspruch ist, wenn man sich die Unterschiede der Verfahren vor Augen hält. Doch wann sollte ich welches Verfahren zu Rate ziehen?
Der M&M Belastungstest ist grundsätzlich für jeden potentiellen Kunden von Interesse. Es geht um die Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich Solvabilität, und da sich der Kunde besonders im Bereich der Lebensversicherung langfristig an den Versicherer bindet, ist das Bedürfnis nach Sicherheit besonders ausgeprägt.
Das M&M Rating LV-Unternehmen geht noch einen Schritt weiter. Wenn für einen Kunden neben dem Sicherheitsaspekt auch die Erzielung einer angemessenen Rendite für seine gezahlten Beiträge – insbesondere im Rahmen der klassischen kapitalbildenden Produkte – im Vordergrund steht, sollte unbedingt ein Blick hierauf geworfen werden.
Ein Artikel von Iris Portugall, Senior Mathematikerin.