BU in jungen Jahren - Für die Einen Chance, für die Anderen Risiko
21. Juni 2023 - Die Arbeitskraftabsicherung ist unbestritten eine der wichtigsten Versicherungen. Vom Versicherer, über Vermittler und auch Verbraucherschützer sind sich in diesem Punkt alle einig. Je früher man diese wichtige Absicherung abschließt, desto einfacher ist man aufgrund der meist noch sehr guten gesundheitlichen Verfassung versicherungsfähig. Versicherer stellen bei Antrag auf Versicherungsschutz nämlich durchaus tiefgehende Gesundheitsfragen, die mit jedem Arztbesuch schwieriger so beantworten sind, dass sie nicht negativ ins Gewicht fallen. Statistisch nimmt die Versicherungsfähigkeit also mit jedem Lebensjahr ab. Es kann schließlich immer etwas passiert sein, weswegen der Versicherer „Nein!“ sagt oder die Versicherung nur mit Ausschlüssen abgeschlossen werden kann.
Deutlich gestiegene Nachfrage
Der Markt für Schüler, Auszubildende und Studenten ist daher ein sehr wichtiger für die Versicherer. Ca. 25 % aller Berechnungen* in der Berufsunfähigkeitsversicherung in M&M Office werden für diesen Personenkreis getätigt. Auch die Sensibilisierung auf die Absicherung dieser Personengruppe während der Corona-Jahre konnten wir deutlich ablesen. So stieg der Anteil der Berechnungen für Personen unter 18 Jahren von 2019 zu 2021 von 4 % auf 7 % und der unter 30-jährigen von 35 % auf 47 %. Junge Menschen (bzw. deren Eltern) machten sich also massiv Gedanken um gesundheitsbedingte Berufsunfähigkeiten. Im Jahr 2022 sahen wir im Bereich der unter 18-jährigen wieder einen leichten Rückgang, wohingegen der unter 30-jährigen konstant blieb.
Flexible Lösungen sind gefragt
Gemein hat dieser Personenkreis, dass er in der Regel kein Geld bzw. wenig Geld verdient. Das haben die Versicherer dahingehend gelöst, als dass Starter-Policen entwickelt wurden, die einen anfänglich niedrigeren Startbeitrag haben und meist zu festgelegten Terminen einen Beitragssprung machen. So kann die Belastung durch einen hohen Beitrag in den Zeitraum geschoben werden, in dem die Person bestenfalls in einem gut bezahlten Job tätig ist. Die in meinen Augen flexibelste Lösung für diesen Personenkreis ist eine technisch einjährig kalkulierte Versicherung mit flexiblem Wechselrecht in einen konstanten Beitrag. Hier wird nur das Risiko des Geburtsjahrgangs der versichersten Person angesetzt, was in jungen Jahren natürlich sehr gering ist und damit auch sehr günstig. Altersrückstellungen werden also (noch) nicht gebildet. Der Vorteil ist, dass man in den konstanten Beitrag dann genau zu dem Zeitpunkt wechseln kann, an dem das erste richtige Gehalt geflossen ist. Jeder kennt bestimmt einen Studenten, bei dem im Laufe des Studiums die Regelstudienzeit ungeplant dann doch um das eine oder andere Semester überschritten wurde. Leider bieten eine solche flexible Lösung nur zwei Versicherer am Markt an.
Es könnte sich also ergeben, dass ein Kollektiv heranwächst, in dem risikoreiche Berufe und Personen mit gesundheitlichen Problemen verbleiben. Das wären keine guten Aussichten für die Beitragsstabilität dieses Tarifes.
Das Risiko der „jungen Jahre“ für den Versicherer
Auf Seite der Versicherungsgesellschaften ist die Kalkulation der „jungen Jahre“ beim Abschluss eine Herausforderung. Insbesondere junge Schüler sind daher gar nicht so günstig zu versichern. Das liegt daran, dass der Versicherer noch nicht einschätzen kann, in welche Richtung sich die Berufslaufbahn entwickeln wird. Wird der Grundschüler später Mathematiker oder doch Dachdecker? Für den Versicherer ein enorm unterschiedliches Risiko, das durch eine Mischkalkulation ausgeglichen werden muss.
Das führt uns aber sogleich zu den großen Risiken, die dieses Kollektiv der Schüler, Azubis und Studenten in sich birgt: Für die risikoärmeren Berufe werden die Beiträge später günstiger werden. Das wird dazu führen, dass gesunde Personen, die in einem Bürojob arbeiten geneigt sein werden, ihre Versicherung zu wechseln, um einen günstigeren Beitrag erhalten zu können. In dem Kollektiv zurück bleiben nunmehr die, die einen risikoreicheren Beruf ergriffen haben und für die der Beitrag, den sie sich als Schüler gesichert haben, günstig ist. Auch diejenigen „Bürojobber“ werden in dem Kollektiv verbleiben, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wechseln können. Es könnte sich also ergeben, dass ein Kollektiv heranwächst, in dem risikoreiche Berufe und Personen mit gesundheitlichen Problemen verbleiben. Das wären keine guten Aussichten für die Beitragsstabilität dieses Tarifes.
Gute Risiken im Kollektiv halten
Am Markt gibt es auch Tarife, die es Schülern erlauben, mit immer besserem Ausbildungsstand in bessere Berufsgruppen wechseln zu können, um schlussendlich mit Berufseintritt die endgültige Berufsgruppe günstig versichern zu können. Auch hier wird das Risiko sichtbar, dass im Kollektiv die risikoärmeren Berufe immer günstiger werden und der anfänglichen Mischkalkulation die Beiträge ausgehen könnten, um die risikoreicheren Berufe des Kollektivs abzusichern. Andererseits hält man auf diese Art die guten Risiken -wenn auch zu einem günstigeren Beitrag- in dem Versichertenkollektiv und verhindert so das „Abwandern“ der gesunden günstigen Risiken.
Lange Laufzeit vs. vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung
Ein weiteres Risiko, das sich für den Versicherer ergibt, ist die extrem lange Laufzeit dieser Verträge – ein Grundschüler hat den Vertrag ggf. für die nächsten 60 Jahre. Im Rahmen unseres BU-Kompetenz-Ratings sehen wir, dass über 13 % der abgelehnten Leistungsfälle eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung als Ursache haben. Nun muss man wissen, dass die Rechte des Versicherers sich auf eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung zu berufen nur in den ersten fünf (fahrlässige Anzeigepflichtverletzung) bzw. ersten zehn (vorsätzliche oder arglistige Anzeigepflichtverletzung) Jahren der Vertragslaufzeit möglich sind. Diese 13 % sind also ein sehr hoher Wert, wenn man bedenkt, welch kurzer zeitlichen Befristung dieser Wert im Verhältnis zur Gesamtvertragslaufzeit unterliegt. Ein wirklich schmaler Grat, auf dem sich hier die Versicherer bewegen müssen.
Ausblick
Es bleibt daher abzuwarten, wie sich der Trend der Versicherer, immer jüngere Schüler zu versichern, auswirken wird. Die Versicherer sollten diese Kollektive gut beobachten und auch schon im Antragsverfahren stichprobenartig Anträge genauer untersuchen, um gegebenenfalls Risiken neu bewerten zu können. Dies ist ausdrücklich auch im Interesse des Verbraucherschutzes, denn man sollte dabei nie vergessen, dass das Versichertenkollektiv eines Versicherers eben aus einer Vielzahl von Verbrauchern besteht.
* Die MORGEN & MORGEN Point of Sale - Auswertungen im Bereich Berufsunfähigkeitsversicherung beruhen auf mehr als einer halben Million nach DSGVO-Vorgaben anonymisierter Berechnungsvorgaben aus M&M Office.