Existenz

      Grundfähigkeit vs. Erwerbsunfähigkeit

      Muss es zur Arbeitskraftabsicherung immer eine Berufsunfähigkeitsversicherung sein, oder gibt für körperliche tätige Personen auch alternative Absicherungsmöglichkeiten? Ein Interview mit Philip Wenzel.

      12.April 2023 - Durch den Wettbewerb in der Berufsunfähigkeitsversicherung um die „besten“ Berufsgruppen ist für einen Großteil der körperlich tätigen Menschen eine bedarfsgerechte Arbeitskraftabsicherung durch eine Berufsunfähigkeitsversicherung aus Kostengründen faktisch nicht mehr möglich.

      Eben jene Berufsgruppen brauchen jedoch noch mehr als die nicht körperlich tätigen Berufe eine Arbeitskraftabsicherung. Wir haben mit Philip Wenzel gesprochen, welche Gedanken er zu den Alternativen einer Berufsunfähigkeitsversicherung hat.

      Körperlich tätige Berufe sind in der Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund der hohen Beiträge selten bedarfsgerecht absicherbar. Als Ausweichprodukte hat sich in den letzten Jahren die Grundfähigkeitsversicherung etabliert. Was spricht für bzw. gegen eine Arbeitskraftabsicherung mit einer Grundfähigkeitsversicherung?

      Ich finde, es kommt darauf an, was man von einer Versicherung erwartet. Wenn ich nur mathematisch gesehen davon ausgehe, dass „nur“ jeder Vierte tatsächlich berufsunfähig wird, dann können sich 3 von 4 ihr Geld mit einer Grundfähigkeitsversicherung sparen.

      Der Vierte wird merken, dass seine Vorstellung von dem, was in einer Grundfähigkeitsversicherung abgesichert ist, sich in der Regel nicht mit dem deckt, was tatsächlich versichert ist. Die Tage durfte ich dabei helfen, als ein paar Heizungsbauer ein 200 kg-schweres Bestandteil einer Heizung die Treppe heruntergetragen haben. Wenn ich denen eine Grundfähigkeitsversicherung verkaufe, weil dort Heben und Tragen versichert ist, sollte ich auch erklären, dass hier lediglich 2 kg oder 5 kg gemeint sind.

      Die Grundfähigkeitsversicherung eignet sich an sich nicht für die Arbeitskraftabsicherung, da sie keinen Bezug zum ausgeübten Beruf hat und der Kunde oder die Kundin in der Regel keine treffende Vorstellung davon hat, was exakt versichert ist.

      Wenn jedoch eine Arbeitsunfähigkeitsklausel in der Grundfähigkeitsversicherung abgeschlossen wird, besteht zum einen der Bezug zum ausgeübten Beruf. Zum anderen weiß der Kunde oder die Kundin sehr genau, wann geleistet wird und hat zumindest genügend Geld, um eine Umschulung zu finanzieren.Die Grundfähigkeitsversicherung eignet sich an sich nicht für die Arbeitskraftabsicherung, da sie keinen Bezug zum ausgeübten Beruf hat und der Kunde oder die Kundin in der Regel keine treffende Vorstellung davon hat, was exakt versichert ist.

      Wenn jedoch eine Arbeitsunfähigkeitsklausel in der Grundfähigkeitsversicherung abgeschlossen wird, besteht zum einen der Bezug zum ausgeübten Beruf. Zum anderen weiß der Kunde oder die Kundin sehr genau, wann geleistet wird und hat zumindest genügend Geld, um eine Umschulung zu finanzieren.

      Die Erwerbsunfähigkeitsversicherung spielt im Vermittlermarkt kaum noch eine Rolle. Was sind die Gründe hierfür?

      Da wäre einerseits die irrationale Angst vor einer Haftung und andererseits der allgemein bekannte Verkaufsansatz des „Schlechtredens" der gesetzlichen Absicherung.

      Zunächst zur Haftung:

      Als Makler oder Maklerin hafte ich selbstverständlich nicht, wenn ich meinem Kunden oder meiner Kundin keine Berufsunfähigkeitsversicherung verkaufe. Ich hafte nur dann, wenn der Kunde oder die Kundin denkt, dass er oder sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, obwohl es am Ende eine Grundfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung war.

      Ein Autoverkäufer oder eine Autoverkäuferin haftet auch nicht dafür, wenn er oder sie mir einen VW verkauft, obwohl ein Volvo in Crashtests besser abschneidet.

      Kurz gesagt, hafte ich als Makler oder als Maklerin nicht, wenn ich richtig berate. Ich hafte eher dann, wenn ich statt eines Bedarfs von 2.000 € im Monat nur 1.000 € BU-Rente versichere, weil sich der Kunde oder die Kundin mehr nicht leisten kann.

      Für den zweiten Grund benötige ich als Makler oder als Maklerin eine neue Sales-Story. In der Beratung funktioniert es nicht, wenn ich meinem Kunden oder meiner Kundin sage, dass die gesetzliche Absicherung schlecht sei, da sie erst leistet, wenn die Person nicht mehr umschulungsfähig ist. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung jedoch bereits leistet, wenn der Beruf aus gesundheitlichen Gründen nur noch zur Hälfte ausgeübt werden kann.

      Würde ich den Kunden oder die Kundin fragen, ab wann er oder sie finanzielle Schwierigkeiten hätte, dann gibt es einige, die eine Umschulung ohne Hilfe einer Versicherung überstehen würden. Manche schulen sich auch freiwillig und ohne Erkrankung um und das funktioniert.

      Für diese Kunden und Kundinnen ist eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung die passendere Lösung. Mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt der Kunde oder die Kundin für etwas, das er oder sie gar nicht benötigt.

      Ich kann die Ängste der Vermittler und Vermittlerinnen verstehen. Ich muss da unglaublich flexibel sein und verschiedene Tarife kennen.

      Philip Wenzel | Experte für Biometrie und Versicherungsvermittler
      Kann abseits der Berufsunfähigkeitsversicherung
      gerade für körperlich tätige Berufe – eine leistungsstarke Absicherung dargestellt werden? Vielleicht durch die Kombination verschiedener Produkte?

      Logo! Hier könnte eine Kombination aus Erwerbsunfähigkeitsversicherung und einem Krankentagegeld funktionieren. Durch diese Kombi könnte über das Krankengeld die Lücke während der Umschulung geschlossen oder vorübergehende Ausfälle abgedeckt werden.

      Eine weitere gute Lösung wäre unser WORKSURANCE.starter. Hier leisten wir bis zu 24 Monaten am Stück und bei jedem Leistungsfall von Neuem, wenn der Kunde oder die Kundin länger als 6 Monate krankgeschrieben ist. Während einer Umschulung zahlen wir bis zu sechs Monatsrenten zusätzlich. Die perfekte Absicherung für alle, die sich umschulen würden.

      Wie steht ihr zu der immer modularer werdenden Grundfähigkeitsversicherung? Besteht hier nicht die Gefahr, dass eine Risikodurchmischung nur noch rudimentär stattfindet?

      Ich kann die Ängste der Vermittler und Vermittlerinnen verstehen. Ich muss da unglaublich flexibel sein und verschiedene Tarife kennen. Wenn es immer nur billig, den Preis-/Leistungssieger und teuer gibt, dann weiß der Kunde oder die Kundin schnell, was er oder sie möchte.

      Ich sehe die Chance bei den Kunden und Kundinnen, die ihren Bedarf sehr individuell absichern können. Dies können dann Fertigkeiten sein, die sie auf der Arbeit benötigen oder eben Grundfähigkeiten, die sie in der Freizeit brauchen.

      Das Problem der geringeren Risikodurchmischung sehe ich allerdings nicht, da das Kollektiv ja das Gleiche bleibt. Aber klar, ist die Kalkulation eine Herausforderung! Denn an sich müssten Schnittmengen in den Auslösern wieder zu Preisnachlässen führen.

      Wie würdest du bei einem jungen angestellten Dachdecker/einr junge angestellten Dachdeckerin die Arbeitskraft absichern, wenn er oder sie sich eine Berufsunfähigkeitsversicherung in bedarfsgerechten Umfang definitiv nicht leisten kann?

      Wenn wir davon ausgehen, dass er oder sie gesund ist, dann wäre tatsächlich die Kombination aus Erwerbsunfähigkeitsversicherung und Krankentagegeld die Waffe der Wahl.

      Hier sind alle gesundheitlichen Einschränkungen versichert und der Dachdecker/die Dachdeckerin profitiert eben nicht nur davon, dass er/sie im Vergleich zur BU-Versicherung das Risiko der Umschulung zu Teilen selbst trägt.

      Der größere Hebel für eine Beitragsersparnis liegt darin, dass die Erwerbsunfähigkeitsversicherung und das Krankentagegeld mit nur 2–4 Berufsgruppen kalkuliert sind und sich der Dachdecker/die Dachdeckerin also in einem angenehmeren Kollektiv befindet. Auf der anderen Seite lässt sich die Ungerechtigkeit der Berufsunfähigkeit-Kalkulation darin zeigen, dass ein Akademiker oder eine Akademikerin in der Berufsunfähigkeitsversicherung weniger zahlt als in der Erwerbsunfähigkeitsversicherung, obwohl das Risiko in der Berufsunfähigkeitsversicherung höher und damit teurer wäre.

      Vielen Dank für Deinen aufschlussreichen Input. Wie wir gesehen haben, lassen sich auch abseits der Berufsunfähigkeitsversicherung bedarfsgerechte Absicherungskonzepte erstellen. Sei es durch neue, innovative Produkte, welche temporär den Beruf absichern und auf Dauer die Möglichkeit Erwerbseinkommen zu erzielen bieten oder eben durch die Kombination von verschiedenen Produkten wie der Erwerbsunfähigkeitsversicherung und einem Krankentagegeld. Charmant an dieser Kombination ist zudem, dass in ein solches Absicherungskonzept meist noch die gesetzliche Erwerbsminderungsrente eingerechnet werden kann, da sie auf dem gleichen Leistungsauslöser wie die Erwerbsunfähigkeitsversicherung basiert.

      Bei der Sorge darum, ob sich bei der Nicht-Vermittlung einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine Haftungsproblematik auftut, stellt sich daher anscheinend eher die Frage, ob diese nicht näher ist, wenn man nicht in die Richtung der Erwerbsunfähigkeitsversicherung berät und größere Deckungslücken offen lässt. 

      Über Philip Wenzel

      Philip Wenzel ist absoluter Experte für Biometrieprodukte, Versicherungsmakler und Chefredakteur bei Worksurance.

      Mehr Informationen findest Du auf Philip’s Website: worksurance.de

      Dein M&M Ansprechpartner

      Andreas Ludwig

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