Alter & Vermögen

      Absenkung des Rechnungszins: Wie hat sich das ausgewirkt?

      Der Rechnungszins ist zum 01. Januar 2022 auf ein historisches Tief gesunken. Das zeigt Auswirkungen auf die verschiedenen Lebensversicherungsprodukte

      02. November 2022 | Der Höchstrechnungszins ist als oberster Wert zu verstehen, mit dem eine Versicherungsgesellschaft ihre Deckungsrückstellungen berechnen darf. In den letzten 27 Jahren ist er lediglich gesunken, niemals gestiegen. Dies liegt daran, wie der Höchstrechnungszins festgelegt wird: Denn die Berechnung des Höchstrechnungszinses basiert auf den Umlaufrenditen europäischer Staatsanleihen, welche über eine AAA-Bewertung einer Ratingagentur und eine Laufzeit von 10 Jahren verfügen.

      Für den Rückgang der Zinsen ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verantwortlich. Denn seit der Finanzkrise 2008 hat die EZB die Leitzinsen kontinuierlich gesenkt. Infolgedessen sind auch die Zinsen am Anleihemarkt stark gefallen.

      Zum Jahreswechsel 2022 ist das Bundesministerium für Finanzen (BMF) der damaligen Empfehlung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) gefolgt und hat den Höchstrechnungszins von 0,9 Prozent auf 0,25 Prozent gesenkt. Damit hat der Rechnungszins erneut ein historisches Zinstief erreicht.

      Der reduzierte Garantiezins von 0,25 Prozent gilt nur für neue Verträge, die nach dem 01. Januar 2022 abgeschlossen wurden und werden. Für ältere Verträge, die mit einem höheren Garantiezins abgeschlossen wurden, ergibt sich keine direkte Auswirkung. Für die höheren Zinsversprechungen bilden die Versicherungsgesellschaften eine so genannte Zinszusatzreserve, um die zugesagten Versicherungsleistungen erfüllen zu können.

      Die aktuellen Marktveränderungen spiegeln sich aufgrund der langfristigen Ausrichtung des Rechnungszinses noch nicht wider.

      Auswirkungen auf Biometrie- und Altersvorsorgeprodukte

      Für die Produktentwicklung der Biometrie- und Altersvorsorgeprodukte bedeutet die Senkung des Rechnungszins eine immense Veränderung

      Die Senkung des Garantiezinses hat für die Produktentwicklung in den Biometrie- und Altersvorsorgeprodukten enorme Auswirkungen.

      Nima Shahriari | Senior Aktuar (DAV)

      Der gesunkene Rechnungszins verteuert BU-Versicherungen

      Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung sind nach der Garantiezinssenkung die Beiträge im Schnitt um 3 % bis 4 % teurer geworden als im Vorjahr. Dies gilt sowohl für den Bruttobeitrag als auch für den Nettobeitrag, denn die Versicherer müssen für den Versicherungsfall Rückstellungen bilden. Dieses Kapital wird mit dem Garantiezins verzinst. Da der Garantiezins jetzt niedriger ausfällt, muss der Beitrag entsprechend höher ausfallen, um die gleiche Rücklagenhöhe zu bilden.

      Die Risikolebensversicherung hat sich durch die Rechnungszins-Senkung komplett verändert

      In der Risikolebensversicherung verhält es sich jedoch anders:

      Die Beiträge haben sich zum Jahreswechsel im Mittel um circa 5 % reduziert. Das gilt sowohl für den Brutto- als auch Nettobeitrag der Tarife.

      Obwohl auch hier eine Beitragserhöhung plausibel erschienen hätte, trifft es nicht zu, dass Risikolebensversicherungen durch die Änderung des Rechnungszinses zwangsläufig teurer werden. Das ist bedingt durch den Wettbewerb in diesem Bereich: Für Risikolebensversicherungen ist der Beitrag die entscheidende Komponente bei der Tarifwahl.

      Entsprechend haben sich viele Versicherungsgesellschaften gegen eine pauschale Beitragserhöhung bei Neutarifen und für eine grundlegende Modifizierung ihrer Tarifkalkulation entschieden. So sind zum Jahreswechsel eine große Menge wahrhaft neuer Tarife auf den Markt gekommen. Sie kalkulieren sich nun mit vollkommen anders berechneten Wahrscheinlichkeiten, Kosten, Berufsgruppen etc.

      Die Preise in der Risikolebensversicherung sind im Mittel gesunken, was insbesondere durch drei Maßnahmen bedingt ist:

      • Eine gewachsene Differenzierung bei den Einstufungen von Berufsgruppen und individuellen Risiken,
      • Zusätzliche Kosteneinsparungen seitens der Versicherer,
      • Gestiegene Lebenserwartungen.

      Diese Entwicklung ist vergleichbar mit der BU-Preisdynamik vor einigen Jahren.

      Der seit einigen Jahren anhaltende Trend immer feinere Differenzierungen hinsichtlich individueller Risiken (z.B. Beruf, BMI, Kurzzeit-Nichtraucher, Motorradfahrer) anzusetzen, ermöglicht dem besonders risikoarmen Kollektiv eine weiterhin günstige Absicherung.

      Zusätzlich haben viele Versicherungsgesellschaften Maßnahmen ergriffen, um ihre Verwaltungskosten zu senken.

      Einen größeren Anteil am Preis einer Risikolebensversicherung haben die vom Versicherer angesetzten Lebenserwartungen, die sich nach den DAV-Sterbewahrscheinlichkeiten richten. Eine höhere Lebenserwartung senkt somit die Preise der Risikolebensversicherung.

      In der Altersvorsorge verzichtet man nun auf vollständige Garantien

      In der Altersvorsorge sind die Versicherungsgesellschaften dazu übergegangen, sich von einer hundertprozentigen Beitragsgarantie abzuwenden. Denn für einen Mustervertrag mit 30 Jahren Laufzeit und marktüblichen Kosten kann mit einem so niedrigen Garantiezins die vollständige Beitragsgarantie nicht gewährleistet werden.

      Auch die Deutsche Aktuarvereinigung empfiehlt auf eine vollständige Beitragsgarantie zu verzichten. Dies gilt jedoch nicht für die Riester-Rente und die betriebliche Altersvorsorge, da bei diesen Produkten eine Garantie durch den Gesetzgeber gewährleistet werden muss. Die Absenkung der Beitragsgarantie ermöglicht den Versicherungsgesellschaften jedoch mehr Spielraum beim Anlegen am Kapitalmarkt und dies wiederum verbessert die Chance auf höhere Gewinne, bei dem die Versicherungsnehmerinnen und der Versicherungsnehmer in Form der Überschussbeteiligung profitieren. Auch Produkte ohne Garantien sind von der Senkung betroffen, denn für die Berechnung der Rentenfaktoren wird auch der Garantiezins verwendet. Daher betrifft die Absenkung des Garantiezinses alle Tarife der Altersvorsorge.

      Absenkung des Rechnungszinses
      ein vorläufiges Fazit

      Eine Senkung des Höchstrechnungszinses hat grundsätzlich Einfluss auf alle Lebensversicherungstarife – dass sich infolgedessen immer der zu zahlende Beitrag erhöht, ist, wie am Beispiel der Risikolebensversicherung gesehen, nicht gegeben. Die Preisgestaltung ist noch von vielen weiteren Faktoren mit mehr oder weniger Einfluss abhängig.

      In der Altersvorsorge hatte die Anpassung des Höchstrechnungszinses zur Folge, dass die höchstmöglichen Beitragsgarantien weiter gesenkt werden und die Rentenfaktoren, die bei der Berechnung der aus dem verfügbaren Kapital bei Rentenbeginn auszuzahlenden Rente Anwendung finden, bei Neuabschlüssen geringer ausfallen.

      Welche Veränderungen die kürzlich erhöhten Zinsen der EZB auf die zukünftige Tarifgestaltung und Überschussbeteiligung haben, bleibt abzuwarten.

      Ein Artikel von Nima Shahriari, Senior Aktuar (DAV).

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